Berlin. In der Corona-Krise ist er einer der zentralen Akteure in Berlin: Bundesgesundheitsminister Spahn. Nun wurde er selbst positiv auf das Virus getestet. Was bedeutet das für die anderen Mitglieder des Kabinetts?

Als erstes Mitglied des Bundeskabinetts hat sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit dem Coronavirus angesteckt.

Spahn, der eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Pandemie spielt, sei positiv auf das Virus getestet worden, teilte sein Ministerium in Berlin mit. Er habe sich umgehend zuhause isoliert.

Spahn selbst sagte der "Bild"-Zeitung: "Ich befinde mich in häuslicher Isolation und habe bisher nur Erkältungssymptome entwickelt." Sein Sprecher Hanno Kautz sagte dem Blatt zur zeitlichen Abfolge: "Am Nachmittag hat er Erkältungssymptome bekommen und sich direkt testen lassen." Vom Ministerium hieß es weiter: "Alle Kontaktpersonen werden aktuell informiert." Kanzlerin Angela Merkel wünschte Spahn eine schnelle Genesung, wie ein Regierungssprecher der dpa sagte.

Spahn hatte am Vormittag an der Kabinettssitzung teilgenommen. Fotos zeigen ihn dabei mit einem Mund-Nasen-Schutz. Ein Regierungssprecher teilte auf Anfrage mit, das Kabinett müsse trotzdem nicht in Quarantäne. Es tage unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln, die darauf abzielten, dass auch im Falle der Teilnahme einer Person, die später coronapositiv getestet werde, eine Quarantäne anderer oder gar aller Teilnehmer nicht erforderlich werde.

Eine Entwarnung gab es für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auch ein zweiter Corona-Test sei bei ihm negativ ausgefallen, sagte eine Sprecherin des Bundespräsidialamts. Das zuständige Gesundheitsamt habe festgelegt, dass das Staatsoberhaupt noch bis zum 29. Oktober in Quarantäne bleiben müsse. Steinmeier hatte sich am Wochenende selbst in Quarantäne begeben, nachdem einer seiner Personenschützer positiv getestet worden war.

Spahn hatte zuvor die Auffassung vertreten, dass es in der jetzigen Corona-Situation nicht zu einem erneuten großflächigen Stillstand in Deutschland wie im Frühjahr kommen werde. "Einen zweiten Lockdown, so wie er immer gemeint wird, den sehe ich nicht", sagte er am Mittwoch auf die Frage eines Nutzers der Social-Media-App Jodel. Dort hatten sich schon andere Spitzenpolitiker Fragen von Nutzern gestellt.

Dagegen warnte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Landtag in München, man sei einem zweiten Lockdown näher als viele glaubten, zumindest einem Teil-Lockdown. "Der Lockdown ist nicht gewollt - aber er kann die Ultima Ratio sein", sagte der CSU-Chef in einer Regierungserklärung.

Dabei kündigte er schärfere Maßnahmen für Regionen mit drastisch erhöhten Infektionszahlen an, eine Art dunkelrote Warnstufe: Ab einem Wert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen soll es in Bayern demnach eine Beschränkung von Veranstaltungen auf maximal 50 Teilnehmer und eine Sperrstunde ab 21 Uhr geben.

Bezogen auf die gesamte Bundesrepublik wurde am Mittwoch der kritische 50er Wert überschritten. Er gilt als eine wichtige Schwelle für strengere Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl mit 51,3 an, am Vortag lag sie bei 48,6. Bundesweit meldeten die Gesundheitsämter laut RKI zuletzt 7595 neue Infektionen binnen 24 Stunden. Der Wert lag damit nur knapp hinter der Höchstmarke von 7830 am vergangenen Samstag.

Neun deutsche Städte und Landkreise sind laut RKI derzeit nicht mehr in der Lage, den vorgeschriebenen Infektionsschutz vollständig zu leisten. Die Engpässe umfassten etwa die Ermittlung von Fällen und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen, teilte eine Sprecherin mit und bestätigte einen Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Welche Regionen genau betroffen sind, sagte sie nicht.

Die Sorge vor einem erneuten Herunterfahren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland kam wegen der stark wachsenden Zahl von Neuinfektionen und der Situation im bayerischen Landkreis Berchtesgadener Land auf. Dort ist wegen des Wertes von 236 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen seit Dienstag das Verlassen der eigenen Wohnung nur noch aus triftigem Grund erlaubt. Schulen, Kitas, Hotels und Restaurants wurden geschlossen.

Spahn sagte, aktuell sehe man in Berchtesgaden, dass regional bei besonders vielen Infektionen alles "mal wieder zwei oder drei Wochen" deutlich heruntergefahren werde, um es in den Griff zu bekommen. Das Virus sei dynamisch, und keiner wisse, was in drei Monaten sei. Aber Stand heute sehe er so eine Situation wie im März/April nicht.

Auch andere Politiker schließen ein ähnliches Vorgehen auf lokaler oder regionaler Ebene wie im Berchtesgadener Land nicht aus. Der Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Dinge wie in Berchtesgaden werden wir jetzt häufiger sehen. Wir können nur reagieren durch lokale Shutdowns, insofern sind die auch angemessen."

Der Städte- und Gemeindebund schließt das auch für Städte nicht aus. "Wenn die Zahlen so hochgehen, wie jetzt im Berchtesgadener Land, dann kann ich mir das - leider - auch in größeren Städten vorstellen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Bild".

Söder versicherte im Landtag, er wolle keinen Alarmismus und keine Endzeitstimmung, aber auch keinen naiven Optimismus. "Es gibt ein Morgen nach Corona." Bis dahin müsse man zusammenhalten. "Es ist jetzt die Zeit, dass jeder sein Bestes gibt, um das Beste für uns alle zu erreichen." Im ZDF-"Morgenmagazin" rief der Regierungschef zu einer "nationalen Kraftanstrengung" in der Corona-Krise auf.

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Carsten Linnemann (CDU) wandte sich dagegen, durch "immer größere Drohkulissen" und immer mehr "Daumenschrauben" im Kampf gegen die Pandemie "ein ganzes Land für die Verfehlungen einiger weniger in Geiselhaft zu nehmen". "Wir hören zu oft die allerschärfsten Mahnungen von der politischen Spitze, aber zu wenig Differenzierung", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Gehindert werden müssten jene, die "noch mit mehreren hundert Familienmitgliedern Hochzeiten feiern".

Über die richtige Tonlage in der Diskussion ist sich selbst die Ärzteschaft nicht einig. Der Vizechef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, warnte vor Angstmache: "Wir glauben, dass etwas mehr Ruhe und Sachlichkeit und etwas weniger Bedrohlichkeit vielleicht helfen könnten, die nächsten eineinhalb Jahre auch noch zu überstehen", sagte er der dpa.

Dagegen hält die Chefin der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, die Warnung von Kanzlerin Merkel vor einem Kontrollverlust für berechtigt. "Es ist richtig, ein klares Lagebild zu zeichnen und auf Konsequenzen hinzuweisen, sollte sich der aktuelle Trend fortsetzen", sagte sie der "Passauer Neuen Presse".

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